Exhibition: Enrico Pedrotti
Opening: 31.1.17, 19 Uhr
Ausstellung: 1.2. – 11.3.17
Kuratorin: Valentina Cramerotti
Die Ausstellung zeigt 63 Bilder, einen Film und ausgewähltes Pressematerial des zwischen 1920 und 1960 in der Region Trentino Südtirol arbeitenden Fotografen Enrico Pedrotti. Es ist dies die erste umfassende Gelegenheit, das Werk Pedrottis, das bislang nur in spezifischen Kontexten (Berg, Porträt, Futurismus) und anhand einzelner Fotografien bekannt war, in seiner Gesamtheit darzustellen.
Im Fokus der Ausstellung steht Enrico Pedrottis Verhältnis zu den Arbeitsweisen der italienischen Fotografen unter den Futuristen von Wulz zu Parisio und von Castagneri zu Tato wie auch zur deutschen Szene der Neuen Sachlichkeit mit ihrer Aufmerksamkeit für klare Formen und Details, woher Pedrotti wichtige Impulse erfuhr. Pedrottis gesamter künstlerischer Verlauf wird in der Ausstellung entsprechend auf seine technischen und stilistischen Anleihen und Annäherungen hin untersucht und es werden die Anlässe und Umstände, die Anregungen und Abgrenzungen aufgezeigt, die ihn dazu geführt haben, seine persönliche Arbeitsweise zu entwickeln.
Die Fotografien stammen aus dem Bozner Archiv des Sohnes Luca Pedrotti. Es umfasst neben den Fotos und Negativen auch den Großteil der bestehenden Porträts und Fotomontagen, sowie die komplette Serie der in Zusammenarbeit mit Fortunato Depero entstandenen „fotocollage“.
Die Auswahl der Ausstellung hebt neben den künstlerischen Erfolgen die besondere Fähigkeit des Fotografen hervor, seine Tätigkeit als Betreiber eines Fotoateliers, wofür ihn ganz Bozen kannte, mit seinen avantgardistischen Recherchen in Einklang zu bringen, die der Öffentlichkeit weitgehend verborgen blieben. Letztere sind es, die Enrico Pedrotti als Fotografen zu einem jener Protagonisten machen, die in Italien und im Ausland der 30er Jahre eine Welle der Erneuerung lostraten. Die erste prominente Erwähnung findet sich in der internationalen Zeitschrift „Galleria“, die 1934 seine Fotografie „Raccoglimento“ publiziert. Noch bedeutender ist im selben Jahr die Erwähnung seines Namens in „Luci ed ombre – Annuario della fotografia artistica italiana“ mit dem Abdruck des Fotos „Maschera”. Dieses erscheint noch einmal im Jahr 1943 in der von Domus herausgegebenen Jahresschrift „Fotografia. Prima rassegna dell’attività fotografica in Italia“, einem im Bereich des theoretischen Diskurses zur modernen italienischen Fotografie sehr angesehenen Magazin. Mit dem frühen Einsatz der High Key Technik, die später zu einem der Hauptmerkmale der „mediterranen“ Fotografie wurde, antizipiert Pedrotti die Beschäftigung mit dem „High Key“ in der Fotografie um einige Jahre, bevor sie von der bekannten Gruppe „La Bussola“ in ihrem Manifest „Idealismus der Fotografie“ von 1947 und in einer Reihe von stark bis überbelichteten Fotos Ausdruck fand.
Es existieren zwar keine Dokumente, die eine Beziehung zur futuristischen Avantgarde belegen könnten, dennoch finden sich im Werk des Fotografen immer wieder die von dieser Gruppe behandelten Themen und Techniken: Bewegung, Autos, Industrie, Schattenspiele, Fotomontage und -collage. Die Bezüge und die vergleichbare Arbeitsweise lassen sich anhand einiger exemplarischer Arbeiten deutlich feststellen, u.a. bei „Acrobazia 1“ (1928), „Tracce“ (1929), „La stazione“ (1934), und „Ombre 1“ (1938). Herausragend ist die von Pedrotti angewandte Technik der Aneinanderreihung von Ausschnitten aus Fotografien in seinen Fotomontagen. Hier kommen dadaistische und surrealistische Einflüsse zum Tragen, jedenfalls eine Abgrenzung zu der häufiger angewandten Überlagerung mehrerer Negative, wie sie von den bekannten F.lli Bragaglia eingeführt wurde. Im Archiv des Sohnes Luca Pedrotti finden sich eine ganze Reihe von Beispielen für diese Technik, u.a. „Metropolis“ (1928), „Salto triplo“ (1936), die Gestaltung der Werbung für die Gioventù italiana del Littorio von 1938 und „Scalata alle Dolomiti“ (1938). In der Zusammenarbeit mit dem Künstler Fortunato Depero für die Serie fotocollage der Zeitschrift „Enrosadira. Dolomiti Trento Garda: pubblicazione semestrale del Comitato provinciale per il turismo di Trento“ erreicht der Fotograf den Höhepunkt seiner künstlerischen Laufbahn: 4 Seiten in der Sommerausgabe des Jahres 1939 des renommierten Magazins und vor allem ein gemeinsames Original (Fotografie von Pedrotti, bearbeitet von Depero), das wahrscheinich deshalb im Familienarchiv verblieb, weil es zum damaligen Anlass nicht publiziert wurde. Es war nicht die einzige Gelegenheit zum künstlerischen Austausch mit Depero, aber wohl die herausragendste im Kontext ihrer Zusammenarbeit im Bereich Werbung und Printmedien, die 1936 mit der Zeitschrift „Neve e Ghiaccio“ begann und dann 1937 mit der Gestaltung des Messestands für das Trentino für die Tourismus Ausstellung von Padua fortgesetzt wurde, wovon Depero Entwürfe besaß, die heute dem MART angehören. Gerade der Bezug zu den Bereichen Werbung und Printmedien, für die Enrico Pedrotti ein Leben lang großes Interesse hatte – schließlich waren es die ersten und einzigen Möglichkeiten für ihn, seine Arbeit in der Öffentlichkeit bekannt zu machen -, wird in der Ausstellung besonders hervorgehoben. Kooperationen für Werbekampagnen gab es vor dem Krieg mit den Marken Pirelli, Motta, Lambretta, Forst und vor allem mit Agfa, mit Ferrania ab den 50er Jahren, andererseits mit regionalen Tourismusverbänden, für die Pedrotti Postkarten, Plakate und Werbeflächen gestaltete. Zahlreich angefragt wurde er auch von vielen Zeitschriften für ihre illustrierten Seiten. Von „Trentino“ zu „Dolomiti“ bis zu den bereits zitierten „Enrosadura“ und „Neve e Ghiaccio“: Diese Zeitschriften waren für Pedrotti eine willkommene Gelegenheit, neue Gestaltungsprinzipien auszuprobieren und seine ersten Versuche im Bereich der Fotomontage zu zeigen.
Nun, vor dem Hintergrund dieses neuen und unbekannten Pedrotti, mit dem Wissen desjenigen, der bereits einen Blick in die hintersten Winkel der Werkstatt werfen durfte, ist der Moment gekommen, auf die klassischere und bekanntere Produktion von Enrico Pedrotti zu schauen. Die Porträts, die Berg- und die Industriefotografie, normalerweise die Ausgangspunkte der Fotografie Pedrottis, erscheinen nun, aus nachvollziehbaren Gründen, als geradezu zeitgenössische Werke, jedenfalls weit entfernt von der gewöhnlichen Dokumentarfotografie jener Zeit. Der Schlüssel dazu ist, nomen est omen, der High Key: Die Verwendung dieser Technik, die Helligkeit, der Einsatz des Lichtes, die extrem weißen, schattenlosen Bilder, die nur angedeuteten Konturen sind in den Arbeiten Pedrottis beinah von Anfang an vorhanden, jedenfalls lang bevor sie zu einem Markenzeichen seines persönlichen Stils werden und seine Arbeit einschließlich der kommerziellen Produktion prägen werden.
Über das Porträt schreibt Pedrotti selbst für Ferrania: „Für den Profi gilt Folgendes: Er muss den Standard, den Anspruch seiner Arbeit immer mehr anheben. Auch von seiner Kundschaft sollte er den höchsten Anspruch einfordern und somit auch erzieherisch wirken, mag sein Einfluss auch begrenzt sein. Die Kundin, die mit einer Zeitschrift in der Hand ins Atelier kommt und ein Porträt in einer bestimmten Technik verlangt, ist heute keine Seltenheit. Das Kino und die Illustrierten haben auf diesem Gebiet viel bewirkt. Es liegt an uns, dieser Entwicklung Rechnung zu tragen und uns insbesondere durch die Errungenschaften des Kinos, dieser Zwillingsschwester der Fotografie, fortzubilden.“ Dies die Gründe, die die Auswahl der überraschend „modernen“ Porträts in der Ausstellung beeinflusst haben.
Der Berg wird in den Bildern des Fotografen durch Felsen, Wälder, Wolken in unterschiedlichen Rhythmen und Stimmungen dargestellt, manchmal erzeugt das Metamorphe der Bilder den Anschein fremder Welten und Dimensionen. Lange Schatten sind häufig die einzigen Protagonisten auf dem weißen Mantel des Schnees, sie stören das Idyll der Landschaft nicht, sondern fügen sich stellvertretend für die menschliche Anwesenheit integrierend in die Bildkomposition ein, Effekte, die bewusst in schwarz/weiß erprobt wurden, ungeachtet des Aufkommens der Farbfotografie. Das Thema Bergsteigen und die zunehmende Popularität des Wintersports sind für die 30er Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts kennzeichnend. Pedrotti verfolgt diese Entwicklung aus der Nähe und dokumentiert sie nicht nur mit dem Fotoapparat – viele Skiläufer in Aktion wurden derart ins Negativ gebannt -, sondern auch mit der Filmkamera. In der Ausstellung zu sehen ist der Film „Monologo sul sesto grado“ von 1953 in einer letzten verbliebenen s/w Fassung im Format 35mm, heute im Besitz des Filmarchivs des Mailänder CAI. Dieser Film gewann 1954 den „Rododendro d’argento“ beim „Filmfestival della Montagna di Trento“ und wurde in der Zeitschrift „Cinema Nuovo“ besprochen. Angeregt wurde dieser Streifen durch die berühmt gewordenen Filme der zwanziger Jahre von Arnold Fanck und Luis Trenker, womit wir wieder bei der Geschichte der europäischen Fotografie angelangt sind.
Dieses Projekt zu Enrico Pedrotti ist der Versuch, seine oftmals als Vorreiter eingenommene Position innerhalb der damaligen italienischen Fotografie auszumachen. Die für die Auswahl der Ausstellung maßgeblichen Themen und Techniken Pedrottis, die Farbe, der High Key, die Verbindung von Fotografie und Druckmedien, von Fotografie und Werbung und vor allem die Verwendung der Fotomontage und der Fotocollage, sind durchwegs auch die Themen und Techniken der Avantgarde innerhalb des sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts herausbildenden Panoramas der Fotografie. Enrico Pedrotti setzte sich mit dieser neuen Richtung der italienischen Fotografie auseinander und erzielte beachtliche Erfolge, ohne den gewerblichen Aspekt seiner Arbeit zu vernachlässigen. Kontinuierlich versuchte er, meist im Alleingang, seinen Horizont zu erweitern und hielt sich, indem er viel reiste und die Fachliteratur zur Fotografie studierte, über die neuesten Entwicklungen im In- und Ausland auf dem Laufenden. Die deutsche Szene faszinierte ihn besonders, sie war für ihn lebendiger und experimentierfreudiger, was seiner eigenen Arbeitsweise entsprach und in dieser Zeit in Italien noch fehlte, mit Ausnahme des Fotodynamismus der Bragaglia, jener einzig wirklich bahnbrechenden Neuerung auf nationalem Gebiet.
Erkennt sich Pedrotti auch nicht eindeutig zu einer Strömung oder Bewegung zugehörig – man sollte ihn also auch nicht zwingend einer der damals aufkommenden zuordnen -, ist es ihm gelungen, die maßgeblichen Neuerungen und Diskurse der 30er Jahren in seinem Werk auf persönliche, niemals oberflächliche Weise zu berücksichtigen und seine eigene Handschrift im Kontext seiner unmittelbaren Umgebung und der Zeit seines Wirkens, und eigentlich darüber hinaus zu entwickeln.
Valentina Cramerotti