Exhibition: Stefanie Minzenmay – Protected Privacy

WINNER OF FotoRoomOPEN
22.9.2020
Open doors with artist: 3-6pm
Opening: 7 pm (by reservation: info@foto-forum.it)
Exhibition: 23.9. –  22.10.2020

Stefanie Minzenmay – „Protected Privacy“, EXHIBITION AT FOTO FORUM, BOLZANO/BOZEN (ITALY) 23.9. – 22.10.2020

Stefanie Minzenmay – Protected Privacy und Selfie in Arles

Unter dem Hashtag „Selfie“ bietet Instagram momentan 427 Millionen Treffer. In der Rubrik „Top“ steht eine junge Frau an erster Stelle, die sich mit der Hand durchs blonde Haar fährt. Gekleidet ist sie in türkisfarbene Unterwäsche. Die Augen hat sie weit, den Mund nur ein wenig geöffnet. Wen sie anschaut, wird nicht recht deutlich. Vermutlich sich selbst. Doch kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, sie schaute einfach ins Leere.
In der Rubrik „Aktuell“ sieht es kaum anders aus. Bloß dass die junge Frau an erster Stelle dort ein grünes Top trägt und den Mund geschlossen hält. Kaum gesehen, ist das Bild allerdings schon wieder verschwunden. Die Aufnahmen an dieser Stelle drängen einander im Sekundentakt von der Bildfläche, tief hinein in die Unendlichkeit des elektronischen Speicherraums, in dem sie zwar nie restlos verschwunden sind, denn Bilder im sozialen Netzwerk sind für immer – aus dem sie aber vermutlich nie wieder auftauchen.
Nicht zuletzt darin liegt ihre tiefe Traurigkeit begründet, dieser Moment von Melancholie, der überhaupt jedem Porträt eigen ist, weil es uns ja immer nur von früher erzählt und selbst im Augenblick der Aufnahme schon überholt ist, vergangen und vorbei. Womöglich sogar ungültig. Dass Fotografien bereits zu Lebzeiten die Totenmasken der Gesichter zeigen, ist kein ganz neuer Gedanke. Mag sein, dass sich deshalb hinter jedem Selfie-Zwang auch die Hoffnung verbirgt, den Tod zu überlisten.
Wie also wird das gewesen sein, als die junge Frau auf der Mauer in Arles ins Objektiv ihres Handys geschaut hat und unbekümmert von allem Drumherum sich selbst fotografierte, um die Mittagszeit, als die Sonne an diesem nur leicht bewölkten Tag hoch am Himmel stand und ihr Gesicht vermutlich einigermaßen gleichmäßig ausgeleuchtet hat?
Stefanie Minzenmay saß nur ein paar Schritte entfernt in einem Straßencafé, beobachtete die Szene und fotografierte nun ebenfalls. Die Mauer, die Säule, das Dach vermitteln in ihrer Bilderserie den Eindruck einer Kulisse, und einen Schirm im Vordergrund hat sie angeschnitten, als handele es sich um einen Bühnenvorhang, der gerade aufgezogen wurde – oder vielleicht auch gleich zugezogen wird. Das macht die junge Frau zur Darstellerin in ihrem eigenen Stück, das eher „Da bin ich!“ heißen dürfte, als „Wer bin ich?“ Sehen können wir sie nur von hinten, das lange Haar mal dem Spiel des Winds überlassen, mal mit der Hand zusammengehalten. Einmal erkennt man, dass sie eine Sonnenbrille trägt. Viel mehr erfährt man nicht. Und trotzdem muss man die Bilder, die sie mit dem Apparat am ausgestreckten Arm von sich aufnimmt, nicht sehen, um sie zu kennen. Sie stehen ja auf Instagram. 427 Millionen Mal. Doch wozu?
Bei den Selfies im Netz hat man kaum je das Gefühl, dass sie Fragen nach der eigenen Identität lösen sollten, dass jemand sich auf Spurensuche im eigenen Konterfei begeben hat. Selfies sind keine Selbstporträts, vielmehr kommen darin Narzissmus und Exhibitionismus zur Deckung, zwei Triebe, die von der klinischen Psychologie früher getrennt voneinander verhandelt wurden. Im kontrollierten Auftritt für das Bild und einer zur Schau gestellten Koketterie bündelt sich die Sehnsucht nach Schönheit und Vollkommenheit, in den Likes, die man zu erhalten hofft, die Suche nach Anerkennung, vielleicht auch die Sucht danach. Dass die Likes im Netz zu einer Währung geworden sind, bleibt dabei nicht ohne Wirkung. Eine ganze Generation scheint sich mit Begeisterung dem Perfektionsdruck zu unterwerfen. Und dass es auf Instragram auch Hashtags gibt wie bodypositivity, selflove und diversity, bestätigt nur die Bedeutung der permanenten Überbietungslogik des Systems, das nicht zuletzt durch seine Optimierungsmöglichkeiten anhand Dutzender von Filtern jedem das Gefühl vermittelt, er sei ein Star – oder hätte zumindest das Zeug dazu.
Eine Milliarde Menschen nutzen Instagram, hundert Millionen Bilder werden Tag für Tag auf der Plattform hochgeladen. Und selbst wenn Selfies nur den geringsten Teil ausmachen und nur die wenigsten ihre Kamera beim Fotografieren mehr als Spiegel denn als Auge nutzen, ist doch die Selbstinszenierung für so viele junge Menschen heute zum Teil ihres Lebens und Lebensgefühls geworden, dass sich für sie neben Begriffen wie Post-Millennials oder Generation Z auch der Name Generation Selfie eingebürgert hat.
Selfies sind ein Geschäft. Im Großen, dann verdienen Influencer ein Vermögen. Und im Kleinen. Dann werden Follow gegen Follow getauscht und Likes gegen Likes. Erst im Wirbel um die Bilder findet Instagram zu seinem vollkommenen Ausdruck als imaginäre Dauerparty. Dieser Wirbel aber ist es auch, der manchem die Bodenhaftung nimmt und vergessen lässt, dass soziale Netze eine Rampe sind im öffentlichen Raum. Sie sollten sich doch einfach einmal vorstellen, wie es wäre, redete deshalb Stefanie Minzenmay mit ihren Kindern, wenn Bilder von ihnen vor der Haustür am Laternenmast hingen. Was dürfen die Freunde, Nachbarn, Fußgänger auf der Straße von euch wissen? fragte sie. Welche Informationen gebt ihr preis? So entstand die Idee zur Porträtserie „Protected Privacy – Protect Yourself!“, für die sich Kinder gleichsam in sich selbst verkriechen. Die Gesichter versteckt hinter bizarren Frisuren, unterbinden diese Bilder jegliche Information jenseits der Länge und Farbe des Haars. Junge oder Mädchen? Jung oder alt? Vorne oder hinten? Bei manchen der Aufnahmen will man nicht einmal mehr raten. Deshalb illustrieren diese Bilder genau die Frage, mit denen sich die Kinder in dem Alter besonders intensiv beschäftigen: Was ist das, ein Ich?

Stefanie Minzenmay – „Protected Privacy“, EXHIBITION AT FOTO FORUM, BOLZANO/BOZEN (ITALY) 23.9. – 22.10.2020

Hinter dem Konzept verbirgt sich denn auch keineswegs eine Verweigerungshaltung. Vielmehr zeugt es von der Auseinandersetzung mit dem Gedanken, wie man sich zeigen kann, ohne sich herzugeben, zu entblößen. Etwas nicht mitzumachen, was andere als normal empfinden. Dem Gruppendruck nicht nachzugeben. Und auch nicht jenem längst globalisierten Schönheitsideal des Netzes hinterherzujagen, dem so viele nacheifern im vermeintlichen Zwang der Anpassung, dass der Glaube an die Individualität als höchstem Gut längst aufgegeben scheint zugunsten des Rollenspiels als neuer Norm, die im Stereotyp und Gesichtsklischee endet – wobei sich die Debatte um das nivellierte Gesicht keineswegs neu ist, sondern sich zurückverfolgen lässt bis in die Anfänge der Fotografie. Hier nun aber führte ausgerechnet die Beschäftigung mit ganz jungen Medien und den sozialen Netzwerken, von denen das am weitesten verbreitete, nämlich Facebook, das Gesicht sogar im Namen trägt, zur Bildlösung eines Themas, das bis in die Urzeit des Menschen und die Anfänge der Kunst zurückreicht: das Verhüllen und Maskieren.
Denn die Modelle von Stefanie Minzenmay, die im natürlichen Licht und vor dem neutralen, hellen Hintergrund ihres leeren Ateliers wie zu Skulpturen erstarren, verbergen sich nicht nur hinter ihrem Haar. Sie verwandeln sich auch. Indem sie uns den Blick verweigern und zugleich jegliche Mimik, also die Grunderfahrungen allen Zusammenseins, entfernen sie sich wie in eine andere Ebene und verhindern jede Kommunikation. Gibt es kein Gesicht, gibt es auch keinen Ansprechpartner. Und ohne Gesicht gibt es vor allem kein Erkennen. Das ist das Unheimliche an diesen Fotos: dass sie den Blick auf sich ziehen, ohne ihn zu erwidern, dass gerade durch die Verhüllung eine dramatische Präsenz entsteht. Es ist eine Sichtbarkeit ohne Existenz.
Stefanie Minzenmays Fotografien zeigen Masken ohne Physiognomie, ohne jede lesbare Bedeutung, Masken, die nicht nur den Kopf verhüllen, sondern in ihrer Undurchschaubarkeit auch gleich noch das Wesen dahinter. Aber da es sich um Kinder handelt und damit um Gesichter im Werden, in denen sich noch kein Lebensprozess niedergeschlagen hat, die noch über keinen eingeübten Selbstausdruck verfügen und die mit ihren Konterfeis noch kaum zu täuschen gelernt haben, taucht der Gedanke nicht auf, ihnen die Maske vom Gesicht reißen zu wollen; im Gegenteil.
Man ahnt, das ebendiese Masken schon bald wie von allein abfallen werden. Es ist kein sprachlicher Zufall, dass der Begriff Larve im klassischen Theater für die Maske verwendet wird, in der Zoologie aber für die Zwischenform in der Entwicklung der Insekten auf dem Weg vom Ei zum Erwachsenenstadium. Und schimmert nicht immerhin auf manchen der Fotografien von Stefanie Minzenmay hinter glattgekämmten Haaren der Anflug eines Gesichts hindurch, geradeso, als würde sich das neue Wesen schon bald entpuppen oder besser noch: entlarven.

Freddy Langer
, August 2020

Stefanie Minzenmay – „Protected Privacy“, EXHIBITION AT FOTO FORUM, BOLZANO/BOZEN (ITALY) 23.9. – 22.10.2020

Stefanie Minzenmay – „Protected Privacy“, EXHIBITION AT FOTO FORUM, BOLZANO/BOZEN (ITALY) 23.9. – 22.10.2020, EXHIBITION VIEW: STEFANIE MINZENMAY, FOTO FORUM

Stefanie Minzenmay – „Protected Privacy“, EXHIBITION AT FOTO FORUM, BOLZANO/BOZEN (ITALY) 23.9. – 22.10.2020, EXHIBITION VIEW: STEFANIE MINZENMAY, FOTO FORUM

Stefanie Minzenmay – „Protected Privacy“, EXHIBITION AT FOTO FORUM, BOLZANO/BOZEN (ITALY) 23.9. – 22.10.2020, EXHIBITION VIEW: STEFANIE MINZENMAY, FOTO FORUM

Stefanie Minzenmay – „Protected Privacy“, EXHIBITION AT FOTO FORUM, BOLZANO/BOZEN (ITALY) 23.9. – 22.10.2020, EXHIBITION VIEW: STEFANIE MINZENMAY, FOTO FORUM

Stefanie Minzenmay – „Protected Privacy“, EXHIBITION AT FOTO FORUM, BOLZANO/BOZEN (ITALY) 23.9. – 22.10.2020, EXHIBITION VIEW: STEFANIE MINZENMAY, FOTO FORUM

Stefanie Minzenmay – „Protected Privacy“, OPENING AT FOTO FORUM, BOLZANO/BOZEN (ITALY) 22.09.2020, PHOTO: CLAUDIA CORRENT, FOTO FORUM

Stefanie Minzenmay – „Protected Privacy“, OPENING AT FOTO FORUM, BOLZANO/BOZEN (ITALY) 22.09.2020, PHOTO: CLAUDIA CORRENT, FOTO FORUM

Stefanie Minzenmay – „Protected Privacy“, OPENING AT FOTO FORUM, BOLZANO/BOZEN (ITALY) 22.09.2020, PHOTO: CLAUDIA CORRENT, FOTO FORUM

Stefanie Minzenmay – „Protected Privacy“, OPENING AT FOTO FORUM, BOLZANO/BOZEN (ITALY) 22.09.2020, PHOTO: CLAUDIA CORRENT, FOTO FORUM

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